Die Stille vor dem Sturm.

Samstag 21.03. 2020  19.741 Infizierte 56 Tote. 


Es ist 19:07 Uhr. Um kurz vor sieben öffnete ich die Balkontür zur Straße hin um zu lauschen, ob wirklich geklatscht wird, wie bei Facebook angekündigt wurde, für alle die noch arbeiten müssen.Stille. Um 2 Minuten nach 7 dann ein vereinzeltes, zögerliches Klatschen 5 Häuser entfernt von einer einzelnen Person. Kurz überlege ich, ob ich mitmachen soll, aber dann würde ich ja quasi für mich selbst klatschen und das kommt mir doch etwas selbstverliebt vor. Nach wenigen Sekunden verhallt das Klatschen in der Stille der leer gefegten Straßen. Also ziehe ich noch einmal an meiner Zigarette und geh wieder rein.Ich fühle mich auch nicht so, als hätte ich Applaus verdient. Ich hatte heute meinen planmäßigen 12 Stunden Samstagsdienst im Krankenhaus und durfte heute zum ersten Mal seit Monaten 3 Stunden früher Schluss machen, weil nichts los war. Wir haben das OP Programm seit Montag komplett runter gefahren damit notfalls auch im OP beatmungspflichtige Patienten versorgt werden können und deshalb ist die Station aktuell fast leer. Es herrscht absolutes Besuchsverbot. Angehörige müssen die Wechselkleidung für ihre Lieben vorm Haupteingang abstellen. Dann werden sie durch den Transportdienst zum Patienten gebracht. Am Haupteingang steht jetzt die Security und lässt nur Patienten und Mitarbeiter mit Ausweis rein. In die Cafeteria darf nur noch Personal und jeder zweite Stuhl ist mit einem Klebeband abgesperrt.  In die Notaufnahme trauen sich meißtens nur richtig Kranke. Also aktuell eigentlich ganz angenehmes Arbeiten ehrlich gesagt.




 Im Coronatrakt lagen heute 3 mit Verdacht auf, und 2 gesicherte Fälle. Auf der leer geräumten Intensivstation ist aktuell 1 Patient mit Corona an der Beatmungsmaschine. Allerdings wurde gestern Abend die erste schwangere Patientin mit Fieber und trockenem Husten als Verdachtsfall aufgenommen. Bei der Visite musste ich das erste mal die Coronakluft überziehen. Das Fieber der Patientin war weg, sie fragte ob sie nicht nach Hause dürfe, obwohl das Testergebnis noch ausstand. Ich entließ sie nach einer Nacht in die häusliche Quarantäne. Bin gespannt was rauskommt. Komisch fand ich es nach nur 1 Minute Patientenkontakt den teuren und so rar gewordenen FFP 2 Mundschutz in die Tonne zu kloppen. Als ich dann noch ein paar Rückfragen an die Patientin bezüglich ihrer Entlassung hatte, entschied ich mich lieber jedes mal auf ihrem Telefon neben ihrem Bett anzurufen, als die teure Schutzkleidung  zu verschwenden. Die Kluft muss übrigens neuerdings versteckt werden und steht nicht wie sonst üblich vor dem betroffenen Zimmer, weil sie sonst sofort geklaut werden würde. Krasse Zeiten. Heute gab es für alle Stationen säckeweise Popcorn vom benachbarten Kino, welches ab heute schließen muss. Gestern hatte der Blumenladen um die Ecke bereits seine Waren bei uns im Foyer abgeladen, zum kostenlosen Mitnehmen für alle Mitarbeiter. Der Applaus gilt aktuell vor allen Dingen den Kassierer/innen, Warenauffüller/innen, Kioskbesitzer/innen, Lieferdiensten und allen Anderen die immer noch arbeiten. Wobei eigentlich haben wir auch Lob verdient, dass wir immer noch täglich zur Arbeit gehen und uns der Ansteckungsgefahr aussetzen. O-Ton der Geschäftsführung: "Sie werden eh alle erkranken, also lassen sie sich auch nicht testen, wenn der Kollege positiv sein sollte. Sonst können wir hier nächste Woche dicht machen."Okay.Ich ziehe daraus die Konsequenz, nach der Arbeit in völliger Isolation zu leben. Der obligatorische Osterbesuch bei meinen vorerkrankten Eltern fällt vorerst flach. Selbst daran zu erkranken macht mir eigentlich keine Sorgen. Wobei? Zähl ich vielleicht mit meinen 7 Packyears bereits zur Risikogruppe? Das werden die Statistiken zeigen. 



Ich bemerke bereits seit Anfang der Woche Veränderungen an meiner Psyche. Ich rauche Kette, und trinke abends gerne ein bis fünf Gläser Wein zum runterkommen. Ich wache jede Nacht auf und muss sofort im Internet die neusten Zahlen und Meldungen nachlesen. Außerdem scheiße ich aktuell auf meine Diät und bestelle jeden Abend hochkalorische Nahrung.  Ich bin mir noch unschlüssig, ob es dreist ist dem armen Lieferdienst zuzumuten für mich rauszufahren oder ob die sich gerade freuen über die Umsätze, weil ja kein Mensch mehr essen geht…?Auf der Nachhausefahrt mit dem Rad sind mir schon einige Male vereinzelt Tränen rausgeflutscht, weil ich es so beklemmend finde durch die leere Stadt zu fahren. Ja ich habe Angst. Angst vor dem was kommt. Auch vor dem was nach dem Virus kommt. Es ist gerade die Stille vor dem Tsunami. 




EDIT

5 Jahre hab ich nichts abgesondert aus Angst die ganze Sache fliegt mir irgendwann beruflich um die Ohren. Keine Ahnung wie das mit dem Layout und so noch funktioniert. Aber mir ist in diesen Zeiten aktuell wieder nach Schreiben, weil sich auch jeden Tag so viel ändert. Ich hoffe es unterhält vielleicht die Leute, die zu Hause im Homeoffice abhängen müssen. Ich bin mittlerweile Gynäkologin geworden und stehe kurz vorm Facharzt, also nix mit Chirurgie. Männerprobleme habe ich aber immer noch, sind mir aber aktuell ziemlich Wumpe. 


1 Kommentar:

  1. Super, dass du wieder schreibst!! Immerhin etwas, auf das man sich freuen kann in dieser verrückten Zeit gerade!

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Na was sachste dazu, Babe?