ALS-Icebucketchallenge

Aus aktuellem Anlass mal ein etwas ernsterer Post zum Nachdenken:

 Montag erreichte auch mich diese ALS-Icebucket-Challenge, denn Angela nominierte mich. „Och nö – nicht diese lästige Eiswasserkacke“ (oh das darf man bestimmt nicht laut sagen), dachte ich mir zunächst, das ist doch fast schon wieder out und diese ständigen Videos nerven mega auf der Timeline. Nicht mit machen ist aber auch doof, weil das dann so wie ein Spielverderber wirkt oder noch schlimmer: so als wär man zu geizig zum Spenden oder desinteressiert am Leiden Anderer. Gruppenzwang!!! 

 Im Gespräch mit Freunden, merkte ich schnell: Viele wissen gar nicht worum es in der Challenge überhaupt geht und was ALS überhaupt ist. 
Als ich dann noch jemand durch den Bus brüllen hörte: „Ey XY hat die Challenge gepostet und sich dabei extra nen Anzug angezogen- danach sah der aus wie als hätte der einen an der Klatsche! Passt ja zu ALS das ist ja auch ne Nervenerkrankung – HÖHÖ!“ platzte mir innerlich der Kragen und der Wunsch nach Aufklärung statt Boykottieren wuchs. 


Also drehten Lola, Tobi, Lars und ich schnell das obligate Video und das ALS-Forschungsprojekt der Uni Essen ist um nen Fuchs reicher. Pflicht erfüllt. Klasse. (Erst wollte ich das Video hier noch verpixelt posten, aber ich hab leider vergessen den Bauch  einzuziehen und sehe aus wie, wenn Kitty so viel essen würde wie ich). Aber Schluss jetzt mit Spaß und unangemessenen Eitelkeiten:

Der nachfolgende Post, sind meine spontanen Gedanken und Erfahrungen zu dem Thema, ich erhebe keinen Anspruch auf politische Korrektheit und wenn jemand anderer Meinung ist, kann er das gerne im Kommentar kundtun. 

  Die Hintergründe
Ende Juli stellte der ehemalige Baseballspieler Pete Frates das erste Eiswasservideo ins Netz und nominierte ein paar seiner Freunde, das Gleiche innerhalb 24 Stunden zu tun oder etwas für die ALS Forschung zu spenden. Und so entstand die weltweit gehypte ALS-Icebucketchallenge.
 Pete Frates leidet seit 2012 selbst an amyotropher Lateralsklerose.
Ziel des Eiswassereimer-über-sich-Kippens ist es, sich sekundenlang durch die Kälte „wie gelähmt“ zu fühlen, und selbst zu erfahren wie es sich anfühlt als ALS-Erkrankter.

Wat is denn ALS? 
Bei der ALS handelt es sich um eine degenerative Erkrankung der 1. Und 2. Motoneurone. Zunächst  sind nur die kleinen Muskeln, beispielsweise die der Hände, betroffen, innerhalb von 3-5 Jahren (durchschnittliche Überlebenszeit nach Diagnosestellung, Stephen Hawkings ist eine Ausnahme) breitet sich die Krankheit weiter aus, bis die Betroffenen schließlich an Atemlähmung oder durch eingeatmete Flüssigkeit (Speichel, Speisereste) entstandene Lungenentzündung versterben. Das Bewusstsein bleibt die ganze Zeit unbeeinträchtigt, sodass die Personen alles bis ans Ende mitbekommen. Die dabei empfundene Todesangst kann man nur erahnen. Nur die Motorik ist betroffen, Fühlen, wie Schmerzen vom ständigen Liegen auf der gleichen Stelle, kann man noch alles.

 Durch Lähmung der Sprech und Gesichtsmuskeln, kommt es im Verlauf jedoch zu einer verwaschenen Sprache und paradoxer Mimik (Lachen ohne Grund), was auf manche Außenstehende dann vielleicht befremdlich wirkt.
ALS ist bis heute nicht heilbar, tritt sporadisch auf oder als autosomal dominanter Erbgang. Jeden kann es im Laufe seines Lebens treffen.

Meine Erfahrungen damit 
Vor ein paar Jahren erkrankte die Mutter einer ehemaligen Freundin von mir daran. Sie war damals Anfang 40 und verstarb innerhalb von 3 Jahren an Atemlähmung. Als die Diagnose feststand, informierte ich mich darüber, weil ich vorher noch nie etwas davon gehört hatte und war danach total überfordert mit dem Umgang damit. Mir fiel es schwer meine Freundin zu fragen: „Wie geht’s deiner Mutter?“ – aus Angst die Stimmung kaputt zu machen. Nicht nachzufragen fand ich aber auch herzlos. Dieses ständige Unbehagen hatte zur Folge, dass ich mich einfach überhaupt nicht mehr meldete und sie im Stich ließ. Ich schäme mich da heute noch für.

Viele chronisch oder unheilbar Erkrankte berichten, dass das ein typisches Verhalten von Freunden und Bekannten ist. Erst fragt man noch nach, dann ist man überfordert und ignoriert das Ganze einfach. Der typische Abwehrmechanismus der Verdrängung.

 Da erkennt man seine wahren Freunde. Ich war es damals nicht.
Dabei wünschen sich die meisten Leute einfach nur normal behandelt zu werden. Man muss auch nicht immer die Krankheit thematisieren, man will einfach nur weiter am Leben teilnehmen und nicht stigmatisiert werden.

Doch auch Patienten verdrängen ihre Zukunft. Im PJ betreute ich einen Ende 30-jährigen ALS-Patienten im beginnenden Endstadium und in seiner Akte stand dick unterstrichen: „Familie spricht nicht über den (unausweichlichen) Tod, das Thema wird ignoriert und keine Vorkehrungen getroffen.“ Bis zu Letzt wird auf ein neues Medikament oder spontane Heilung gehofft.
Ich weiß noch genau wie ich mich gefühlt habe, als ich ihn aufnehmen sollte, Erinnerungen an meine verstorbene Bekannte kamen hoch, ich atmete einmal tief durch, wischte mir die runtergekullerte Träne von der Backe und betrat das Zimmer: „Hallo, Fähre mein Name ich würde Sie gerne einmal komplett untersuchen und noch ein paar Fragen stellen“, sagte ich und streckte ihm meine zittrige Hand entgegen. „Er kann seine Hände nicht bewegen!“ , fauchte seine Frau mir ins Ohr. Oh. Fettnapf. Zum Glück lächelte er freundlich und nahm mir so die Befangenheit.

 ALS-Icebucketchallenge in der Kritik + ein paar Denkanstöße von mir
Die ALS-Icebucketchallenge hat auf jeden Fall bewirkt, dass man sich über die Krankheit informiert (oder gezwungener Maßen mit Information zugeballert wird in den Medien), sich darüber Gedanken macht und unbefangener darüber sprechen kann.
 Mittlerweile sind Millionen an Forschungsgeldern zusammen gekommen, doch auch die Kritiker werden laut: Wasser Verschwendung, mit dem Geld werden Versuchstiere gequält, besser wäre es mit dem Geld für Barrierefreiheit im Alltag für Rollstuhlfahrer zu sorgen, jetzt wird damit wieder an embryonalen Stammzellen geforscht – also Baby-Vorläufern,  was ist mit den anderen schlimmen Krankheiten…um nur einige zu nennen.

 Alles begründete Einwände, wie ich finde.
Doch das mit den Tierversuchen ist ein generelles Problem der modernen Medizin. Die meisten Heilmittel basieren auf Tierversuchen. Erst bei erfolgreicher Anwendung am Tier, werden freiwillige Erkrankte getestet. Als Gesunder fällt es leicht, das zu verabscheuen. Aber sobald man selbst oder einer seiner Lieben betroffen ist, sieht man das vielleicht schon wieder ganz anders.

Und das mit der Barrierefreiheit statt Heilmittel… Da fällt mir nur ein, wenn man damals keinen Polioimpfstoff erforscht hätte und alles stattdessen barrierefrei gemacht hätte von dem Geld, hätten wir jetzt keine nahezu ausgerottete Kinderlähmung erreicht, dafür viel mehr Leute im Rollstuhl oder unter Langzeitbeatmung, die dafür barrierefrei rummrollen könnten. Will man das? (Oh mit der Veranschaulichung lehne ich mich ganz schön aus dem Fenster).

Versteht mich nicht falsch: Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer ist ein Muss für die Zukunft, trotzdem wäre es doch auch toll, rollstuhlpflichtige Krankheiten heilen oder gar den Ausbruch verhindern zu können, oder nicht? Ursachen Bekämpfung statt Symptomkontrolle!

Und warum wird man angefeindet, wenn sich Leute dazu entscheiden etwas für die medizinische Forschung zu spenden? Warum schaffen wir nicht gleich einfach mal das Gesundheitswesen ab! (Oder reiben uns wie im Mittelalter Pferdeäpfel in die Wunden statt Antibiose?) Wenn alle Medikamente an Tieren getestet werden, was wirklich eine Sauerei ist, dann dürfte man doch am besten gar keine Medis mehr schlucken. Auch nicht die Pille!

Ein moralisches Dilemma, zu dem sich jeder selbst eine Meinung bilden muss. Mir fällt es schwer jetzt eine politisch korrekte Lösung dazu zu finden. Als Doktorarbeit kam für mich nie eine Arbeit mit Tierversuchen in Frage. Selbst schlucke ich aber bei jedem Katerkopfschmerz Aspirin und Co.
Die Frage die dahinter steht: Ist ein Menschenleben mehr wert als ein Tierleben?

Irgendwer scheint immer auf der Strecke zu bleiben, egal wie man es wendet und man kann es nicht allen Recht machen.

Bewusstsein schaffen heißt das Zauberwort und dafür ist die Icebucketchallenge (trotz Wasserverschwendung) mal was Neues.

 Icebucketvideo von einem an ALS Erkrankten jungen Mann in meinem Alter: (ab Minute 2 wirds ernst) - wie findet er das Ganze wohl?






4 Kommentare:

  1. Juhuuu,
    ich schon wieder!
    Also zur Challenge sach ich nix weil ich mir den BEitrag erst noch durch lesen muss...
    Wollte nur mal Bescheid geben, dass ich Dich zum liebsten Blog Award nominiert hab. Hahaaaa.
    Wennste Lust hast mit zu machen...guckste auf meinen Blg, da steht wie...
    Beste Grüße

    *lila*

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  2. Voll wichtig was du da schreibst und ich finde es gut, dass du das ganze Thema mal hinterleuchtest. Zu der Sache mit den Tierversuchen hatte ich mir auch zuletzt Gedanken gemacht. Es ist wirklich ein Dilemma, aber ein Anfang wäre es zum Beispiel auch an Tierschutzorganisationen zu spenden. Da gibt es zum Beispiel einige, die insbesondere ehemaligen Labortieren eine zweite Chance geben(und somit vor dem Schlachthof retten). So ist beiden Seiten zumindest annähernd geholfen :)
    Liebe Grüße!

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    1. Juhuu dein erster Kommentar unter deinem neuen Namen :) das ist eine gute Idee mit dem Tierschutz!

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  3. Grüß Dich, Anna.
    Im Grunde & "de jure" reicht ja das Spenden o h n e Eiswasserdusche aus. Hätte dann auch weniger von Gruppendynamik intus. Man/frau könnte auch nur seine Topfpflanze gießen und dies einstellen.
    Vermutlich wäre das geradezu anarchistisch! :-)

    Sinnige Betrachtungen, die Du hier angeführt hast.

    bonté


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Na was sachste dazu, Babe?